Die nachstehende Liste ist der Versuch, einen Überblick über alle erhaltenen, verlorenen und besonders anlässlich der Kriegseinwirkungen am 11./12. September 1944 im Staatsarchiv Darmstadt vernichteten Ingelheimer Hader- und sonstigen Gerichtsbücher zu geben.
Die Angaben wurden durch eigene Recherchen und die Auswertung der Arbeiten von Saalwächter, Namen S. 252f.; Blattmann, Beobachtungen S. 54; Schwitzgebel, Kanzleisprache S. 9f.; Erler, Urteile S. X ff. zusammengestellt. Es werden die Laufzeit des Buches und dahinter in kurzer Form sein »Schicksal« angegeben. Da die Aussagen und die Zeitstellung der einzelnen Rechtsbücher bei den Autoren nicht immer übereinstimmend angegeben sind, müssen einzelne Hinweise nach weitergehenden Recherchen u. U. noch einmal korrigiert werden. Die Bücher, die im Stadtarchiv Ingelheim aufbewahrt werden, sind mit ihrer Bestandsnummer besonders vermerkt.
• 1377-1435 Kopialbuch des Ingelheimer Reichsgerichts. Das Buch ist 1944 in Darmstadt verbrannt[1]
• 1366ff. Das Buch gilt als verloren[2]
• (vor 1398) Das sog. »Liber primus«[?] ist verschollen[3]
• 1398-1430 Der »Londoner Codex«[4] ist von Adalbert Erler ediert
• 1431-1436 Das Buch gilt als verschollen
• 1437-1440 sog. «Loersch I.« Der Band ist 1944 in Darmstadt verbrannt[5]
• 1440-1451 sog. »Loersch II.« Das Werk gilt als verschollen[6]
• 1452-1464 sog. »Loersch III.« Das Buch ist 1944 in Darmstadt verbrannt[7]
• (nach 1464-1490) Das Buch gilt als verloren[8]
• (1566) Das Buch gilt als verloren[9]
• 1489-1531 für Ober-Ingelheim. Das Buch war 1879 noch vorhanden und gilt heute als verloren[10]
• 1387-1391 (124 Bl.) Der Band ruht im StadtA (A/1/2013/3)
• 1397-1411 (260 Bl.) Der Band war 1879 verschwunden,[10] wurde wieder aufgefunden und liegt heute im StadtA (A/1/2013/4)
• 1411-1418 Das sog. »6. Buch« war schon 1879 verschwunden und gilt heute als verloren[10]
• 1423-1426 Der Band ruht im StadtA (A/1/2013/5)
• 1435-1441 Das Buch war 1879 verschwunden[10], wurde wiedergefunden und ruht im StadtA (A/1/2013/6)
• 1441-1449 Das sog. »11. Buch«, 1879 noch vorhanden, ist seitdem verschollen[10]
• 1449-1455 Der Band war 1879 nicht mehr vorhanden[10], wurde wieder aufgefunden und ruht heute im StadtA (A/1/2013/7)
• 1459 von diesem Buch sind Fragmente vorhanden StadtA (A/1/2013/8)
• 1468-1485 Das Buch ist gedruckt (Bd. 2), ist aber auch (in leicht überarbeiteter Form) online einzusehen. Das Original ruht im StadtA (A/1/2013/9)
• 1485-1491/92 Das Buch, 1879 verschwunden,[10] wurde aufgefunden und ruht heute im StadtA (A/1/2013/10)
• 1492ff. Bereits 1879 verschwunden, gilt heute als verloren[10]
• [um 1500] Fragment, vermutlich Nieder-Ingelheim, ruht im StadtA (A/1/2013/11)
• 1514 Fragment, Nieder-Ingelheim, ruht im StadtA (A/1/2013/12)
• 1505ff. Bereits 1879 verschwunden, gilt heute als verloren[10]
• 1518-1522 Der Band war 1879 noch vorhanden, gilt heute aber als verloren[10]
• 1521-1530 (281 Bl.) Das Buch ist gedruckt (Bd. 3), ist aber auch (in leicht überarbeiteter Form) online einzusehen. Das Original ruht im StadtA (A/1/2013/13)
• 1525-1528 Im Jahr 1879 noch als »Concept« vorhanden, gilt heute als verloren[10]
• 1530-1531 Im Jahr 1879 noch als »Concept« vorhanden, gilt heute als verloren[10]
• 1532-1537 Im Jahr 1879 noch als »Concept« vorhanden, gilt heute als verloren[10]
• 1534 Das Buch war 1879 noch als Fragment vorhanden, gilt heute als verloren.[10]
• 1554 Das sog. »Handregister« war schon 1879 verschwunden und gilt heute als verloren.[10]
• 1378-1381 Der Band war 1879 noch vorhanden und gilt heute als verloren[10]
• 1383-1386 (112 Bl.) Der Band war 1879 bereits verschwunden und gilt als verloren[10]
• 1387-1391 (126 Bl.) Das Buch war 1879 verschwunden,[10] wurde wieder aufgefunden und ruht heute im StadtA (A/1/2013/14). Dazu gehören diverse Fragmente (A/1/2013/15-34)
• 1398-1413 Der Band war 1879 verschwunden, galt als verloren,[10] ruht aber heute im StadtA (A/1/2013/35). Dazu gehören einige Fragmente (A/1/2013/36-48)
• 1413-1420 Der Band war 1879 bereits verschwunden und gilt als verloren[10]
• 1414-1430 Der Band ist, wenn es ihn gab, verloren
• 1423 (Bruchstücke) Sie waren bereits 1879 verschwunden und gelten als verloren[10]
• 1424-1430 (302 Bl.) Das Buch war 1879 verschwunden[10] und ruht heute im StadtA (A/(1/2013/49). Dazu gehören einige Fragmente (A/1/2013/50-52)
• 1430-1434 (223 Bl.) Das Buch war 1879 verschwunden[10] und ruht heute im StadtA (A/1/2013/53) Dazu gehören einige Fragmente (A/1/2013/54-57)
• 1435-1440 (215 Bl.) Das Buch war bereits 1879 verschwunden[10]
• 1440-1445/46 (283 Bl.) Das Buch war 1879 verschwunden[10] und ruht heute im StadtA (A/1/2013/58) Dazu gehören einige Fragmente (A/1/2013/59-61)
• 1450-1453 (?) Das Buch war bereits 1879 verschwunden und gilt als verloren[10]
• 1453/54 -1459 Das Buch war 1879 noch vorhanden und ist dann verschollen[10] Fragmente (S. 299-345) sind im StadtA (A/1/2013/62) erhalten
• 1459-1463 Das Buch wurde 1879 entdeckt, gilt heute aber als verloren[10]
• 1468-1476 — 1879 Das Buch war 1879 noch vorhanden, gilt heute aber als verloren[10]
• 1476-1484 (248 Bl.) Das Buch, 1879 verschwunden,[10] ist gedruckt (Bd. 1), aber auch (in leicht überarbeiteter Form) online einzusehen. Das Original ruht im StadtA (A/1/2013/63). Dazu gehören einige Fragmente (A/1/2013/64-74)
• 1485-1492 Der Band war 1879 noch vorhanden und gilt heute als verloren[10]
• 1492-1497 Der Band war bereits 1879 verschwunden und gilt als verloren[10]
• 1497-1498/99 (238 Bl.) Der Band, 1879 verschwunden,[10] wurde aufgefunden und ruht heute im StadtA (A/1/2013/75)
• 1499-1500/03 (117 Bl.) Der Band, 1879 verschwunden,[10] wurde aufgefunden und ruht heute als Fragment im StadtA (A/1/2013/76)
• 1503-1508 (276 Bl.) Der Band, 1879 verschwunden,[10] wurde aufgefunden und ruht heute im StadtA (A/1/2013/77)
• 1506-1507 Der Band wurde 1879 entdeckt, gilt heute aber als verloren[10]
• 1512-1517 Das Buch war bereits 1879 verschwunden und gilt als verloren[10]
• 1514-1518 (192 Bl.) Das Buch ruht im StadtA (A/1/2013/78). Dazu gehören einige Fragmente (A/1/2013/79-88)
• 1520ff. Das Buch war bereits 1879 verschwunden und gilt als verloren[10]
• 1518-1529 (290 Bl.) — (auszugsweise gedruckt (Bd. 4)) Der gesamte Band ist jetzt online einzusehen. Das Original ruht im StadtA (A/1/2013/89)
• 1529-1534 Der Band ruht im StadtA (A/1/2013/90)
• 1410-1421 Das Buch, 1879 noch vorhanden, gilt heute als verloren.[10]
• 1463-1489 Das Buch gilt als verloren
• 1490-1502 (281 Bl.) Das Buch ist jetzt online einzusehen, es ruht im StadtA (A/1/2013/2)
• 1503-1518 (154 Bl.) Das Buch, 1879 noch vorhanden, gilt heute als verloren[10]
• 1524-1529 Das Buch, 1879 noch vorhanden, gilt heute als verloren[10]
• 1530-1534 Im Jahr 1879 war das Buch noch als »Concept« vorhanden[10]
• 1472-1501 inkl. 15 kleiner Fragmente. Das Buch ist jetzt online einzusehen, es ruht im StadtA (A/1/2013/1)
• 1397-1398 Nieder-Ingelheim. Der Band gilt als verloren
• 1399-1434 Ober-Ingelheim (402 Bl.). Das Buch ruht im StadtA (A/2/2013/1)
• 1435-1454 Nieder-Ingelheim (229 Bl.). Der Band gilt als verloren
• 1437-1522 Groß-Winternheim. Der Band gilt als verloren
• 1455-1499 Ufgift- und Besatzbuch Nieder-Ingelheim. Das Buch, 1879 noch vorhanden, gilt heute als verloren[10]
• 1471/72-1500 Ufgiftbuch Wackernheim. Das Ufgiftbuch ist im Haderbuch Wackernheim 1472-1501 ab Bl. 167 enthalten
• Im Nieder-Ingelheimer Haderbuch 1521-1530 wird Bl. 277 das Ober-Ingelheimer Ufgiftbuch zum Jahr 1488 erwähnt.
• 1495-1523 Ober-Ingelheim. Der Band gilt als verloren
• 1500-1525 Nieder-Ingelheim
• 1397-1398 Ober-Ingelheim. 1879 waren noch 6 Blätter vorhanden, die heute als verloren gelten[10]
• 1435 Nieder-Ingelheim. 1879 waren noch 6 Blätter vorhanden, die heute als verloren gelten[10]
Anmerkungen zur Liste der Gerichtsbücher: [1] Vgl. zu diesem Kopialbuch: Christopher Volbach: Das große Ingelheimer Kopiar. Regesten zu einem verlorenen Dokument. Mit Einträgen der Jahre 1340-1345 und Ergänzungen bis 1498. Darmstadt 2020; Vgl. Loersch, Oberhof S. XI-XII. [2] Susenbeth berichtet in seinem »Spezial Extract« von solchen 1366 beginnenden Protokollbüchern. Loersch, Oberhof S. VI. [3] Vgl. Erler, Urteile S. 19: verschollene Vorgängerin der Londoner Handschrift, das »Liber primus«. Vgl. den Hinweis bei Loersch, Oberhof S. VII. [4] Eine Beschreibung der Handschrift bei Erler, Urteile S. 14ff. [5] Beschreibung des Bandes bei Loersch, Oberhof S. II-IV. Vgl. HStAD Best. C 4 Nr. 140/1 Kopien aus einem 1944 verlorenen Gerichtsbuch des Oberhofes nach einem Original im HStA Wiesbaden. [6] Beschreibung bei Loersch, Oberhof S. IV-V. Im Staatsarchiv Wiesbaden befinden sich noch 7 Blätter (Nr. 1061,1 Nachlass Bodmann), die Bodmann aus diesem Band herausgerissen und für eine Eltviller Fälschung verwendet hatte. (Vgl. Erler, Urteile S. 13 Anm. 5). [7] Beschreibung des Bandes bei Loersch, Oberhof S. V-VI. [8] Loersch, Oberhof S. VII-VIII weist auf mögliche nach 1464 entstandene Bände hin. Vgl. das Fragment vom 31.8.1490 aus einem Obhofband im Staatsarchiv Darmstadt Best. E 9 Nr. 1659. [9] Vgl. Staatsarchiv Darmstadt Best. R 14 Judaica: Ein Urteil des Reichs- und Rittergerichts vom 29.8.1566. [10] Loersch, Oberhof S. IX-X.
Die Haderbücher wurden Jahrhunderte lang in den steinernen Gewölben der Burgkirche in Ober-Ingelheim, später im dortigen Rathaus aufbewahrt. 1644 machte der Ingelheimer Notar und Schreiber des Ingelheimer Rittergerichts Conrad Emmerich Susenbeth erstmals auf die Existenz der spätmittelalterlichen Ingelheimer Gerichtsbücher aufmerksam. In seinem Special-Extract, in dem er sich mit der Geschichte des Rittergerichtes befasste, unterschied er bereits zwischen den lokalen Haderbüchern des Niedergerichts und den Urteilsbüchern des Oberhofes: sodann frembde urtheilbücher, weil dies adelig rittergericht von umligenden stätt und flecken vor ein oberhof erkent und respectirt worden, de anno 1366-1436. Während die Oberhofprotokolle die Urteile und Rechtsweisungen an auswärtige Anfrager beinhalten, wurden die Urteile zu den Rechtsstreitigkeiten der Einheimischen in das aktuelle Haderbuch eingetragen.
Der Mainzer Richter, Staatswissenschaftler und Conservator der Mainzer Bibliothek Professor Franz Joseph Bodmann (1754-1820) (⇒ Deutsche Biographie) veröffentlichte 1818 einige Ingelheimer Oberhofprotokolle in seinen »Rheingauischen Alterthümern«. Da die Quellenlage für den Rheingau in diesem Bereich schlecht war, gab Bodmann Ingelheimer Protokoll-Passagen als Protokolle des kurmainzischen Eltviller Oberhofes aus. Um den wahren Ursprung seiner Erkenntnisse zu verschleiern, verkaufte er wahrscheinlich drei Bände der Oberhofakten ins Ausland. Auf verschlungenen Wegen gelangte der einzige heute noch erhaltene Oberhofband (1398-1430) an das Britische Museum in London (eine Fotokopie liegt im Stadtarchiv Ingelheim).
Der Bonner Rechtshistoriker Hugo Loersch (1840-1907) (⇒ Deutsche Biographie), der den Zusammenhang zwischen der Kaiserpfalz und dem Oberhof in Aachen studierte, wurde dabei auch auf den Ingelheimer Oberhof aufmerksam, der sich ebenfalls auf dem Gebiet einer ehemaligen Kaiserpfalz etabliert hatte. Sein Kollege Eduard Böcking zeigte ihm 1869 eine sich in seinem Besitz befindliche Handschrift, die Loersch als eine Aufzeichnung des Ingelheimer Oberhofes aus den Jahren 1440-1451 identifizierte. Im Frühjahr 1870 begab sich Loersch nach Ingelheim, wo er auf dem Speicher des Ober-Ingelheimer Rathauses 33 mittelalterliche Gerichtsbücher entdeckte, die teilweise in bemitleidenswertem Zustand waren. Sie umfassten die Zeit von 1387 bis 1537. Die Forschungen Loerschs hierzu mündeten 1885 in seinem Werk »Der Ingelheimer Oberhof«.
Da Loersch die Aufbewahrung im Ober-Ingelheimer Rathaus zu unsicher war, veranlasste er die Überstellung aller Gerichtsbücher an das zuständige Großherzogliche Hof- und Staatsarchiv in Darmstadt. Als die Haderbücher aufgrund der Widerstände einiger Ingelheimer erst im Jahr 1879 überführt werden konnten, waren zwischenzeitlich etliche Bände verschwunden. Ingelheimer Bürger hatten sie versteckt, um sie dem Zugriff der hessen-darmstädtischen Beamten zu entziehen. Die noch vorhandenen fremden Urteilsbücher des Oberhofes gelangten alle in das Staatsarchiv Darmstadt. Die von den Ingelheimern versteckten Gerichtsbücher fand der Ingelheimer Forscher Andreas Saalwächter im Jahr 1905 auf dem Speicher des Rathauses in Ober-Ingelheim wieder. Sie blieben in Ingelheim.
Die gesamten Bestände, die in Darmstadt lagerten, wurden in der »Bombennacht« vom 11./12. September 1944 Opfer eines verheerenden Luftangriffs. Verbrannt sind damals auch zwei der von Hugo Loersch für seine Edition ausgewählten Oberhof-Protokollbücher, während ein Band, den Loersch aus dem Nachlass Eduard Böckings erworben hatte, seit seinem Tod 1907 unauffindbar ist.
Die in Ingelheim verbliebenen Bücher, fast ausschließlich Haderbücher, wurden während des Krieges in die unterirdischen Gewölbe der Burg Ortenberg in der Wetterau ausgelagert. Als man die Bestände 1946 in Augenschein nahm, fand man die Bücherkisten aufgebrochen, zahlreiche Haderbücher verschwunden oder durch Feuchtigkeit und Mäusefraß mehr oder weniger stark beschädigt. Der Restbestand lagert heute, vorbildlich restauriert, im Stadtarchiv zu Ingelheim.